Chemnitz den Chaoten?

03.09.2018

Aus aktuellem Anlaß: Chemnitz, 26. August 2018

Kritisches

Chaoten, Hooligans, Reichsbürger und selbsternannte Aktivisten sind leider für Gespräche nicht mehr zugänglich…

Chemnitz ist seit dem Mord an dem jungen Familienvater Stefan H. in den Schlagzeilen Deutschlands und der Welt. Als tödliche Messerstecher im Visier der Staatsanwaltschaft sind Asylbewerber aus Syrien und dem Irak. Es gibt Demonstrationen, Unruhe und Auseinandersetzungen auf der Straße. Krawalle in der Innenstadt, Schlägereien. Polizeipräsenz und Wasserwerfer. Natürlich Argwohn auf allen Seiten und Haß. Die dabei Beteiligten: Das gesamte Spektrum der Bevölkerung, dazu Parteien und Gruppen, gewaltbereite Hooligans, Scharfmacher und gewöhnliche Randalierer, die aus alledem ihren Nutzen ziehen wollen. Dazu einzelne Politiker aus der Stadt Chemnitz, dem Land Sachsen und ja, -auch aus Berlin. Und ein Verfassungsschutzpräsident, der sich mehr um falsche Überschriften auf einem Video als um die Aggression auf der Strasse kümmert.

Mandatsträger und Persönlichkeiten, auch aus der Chemnitzer Kirche, bemühen sich redlich. Was ist dran an den Ausschreitungen, worum geht es genau? Tritt Chemnitz die Nachfolge von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Dresden an? Ein Wutausbruch made in Ostdeutschland, ungeahnt und aus heiterem Himmel?

Interessant ist ein Radio-Interview des MDR vom 03.09.2018 mit Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste zu diesem und tiefersitzenden Problemen (die Audio-Datei in der MDR-Mediathek wurde leider gelöscht). Er spricht voller Achtung über Chemnitz als weltoffene Stadt. Als Stadt der Moderne mit einem reichhaltigen Kulturangebot und einem exzellenten Theater. Auch über die Berichterstattung durch Medien und Leute, die von der Stadt keine Ahnung haben. Für mich ehrliche und engagierte Worte!

Die wirklichen Probleme -und hier stimme ich ihm uneingeschränkt zu- sind nicht nur die Migrationsprobleme, die in der Argumentation für Frust und Ärger sorgen. Natürlich ist ein ehrliches, gerechtes und nachvollziehbares Regelwerk im Umgang mit Migranten wichtig und längst überfällig. Probleme, die den Leuten auf den Nägeln brennen, sind auch die Themen, bei denen das Land enormen Aufholbedarf hat. Denn: Unser Land ist nicht mehr auf dem Level der Zeit. Es gibt einen Lehrermangel, der absehbar war. Es gibt marode Schulen, marode Brücken, marode Autobahnen. Die Bildungspolitik ist nicht so, wie sie funktionieren müßte. Unglaubliche Sparmaßnahmen in Verwaltung und Polizei in der jüngsten Vergangenheit sind verantwortlich für einen spürbaren Kontrollverlust. Denn: Der heutige Personalmangel bei Lehrern und Polizisten im Freistaat Sachsen war mit den verläßlichen Zahlen zur demographischen Entwicklung nicht unabsehbar! Er ist in hohem Maße auch das Ergebnis von Imagepflege, Profilierung und Geltungssucht einstiger sächsischer Spitzenpolitiker. Und das Resultat von realitätsfernen, aber schöngeredeten und medienwirksamen Entscheidungen. Und wie es meistens kommt: Die Fehlentscheidungen sind per saldo verjährt, die damals Verantwortlichen anderweitig bereits wieder in Aufsichtsräten, Kohlekommissionen und anderen Gremien abgetaucht, sprich „verantwortungsvoll tätig“!

Weniger ist eben nicht mehr! Menschen aus den erzgebirgischen Grenzbezirken zu Tschechien und Polen haben ganz andere Erfahrungen bzgl. Diebstahl, Autoklau oder Sicherheit in den Gemeinden gemacht, die aus dem Weniger an Polizei, Grenzbeamten und ihrer veralteten Kommunikationstechnik resultieren. Wahrgenommen wurden diese Zustände in den „Zentralen der Demokratie“ nicht oder nur halbherzig. Das Nicht-Ernst-Nehmen von Befindlichkeiten, jahrelange Ignoranz und Kritikresistenz hat zu Politikverdrossenheit, zum Abtauchen aus der Gesellschaft und zum Liebäugeln mit den Rattenfängern der einfachen Antworten geführt. Und auch zu Pegida.

Antworten zu Politik und Gesellschaft kann man eben nicht nur den Talk-Shows überlassen. Der Zugang zur Wahrheit erfordert mehr, nämlich Dinge zu benennen und Mißstände benennen zu dürfen, ohne in eine mißliebige Ecke der Gesellschaft gestellt zu werden. Und ohne gesellschaftliche Sanktionen befürchten zu müssen. Wie erklärt man einem jungen Menschen, weshalb ein Kapitän, der Menschen in Seenot gerettet hat, in einem Land der EU vor Gericht gestellt wird? Was sind unsere Werte? Gehört der Islam wirklich zu Deutschland, wie ein ehemaliger Bundespräsident behauptet hat? Wie geht man mit dieser Religion um, deren Rechtssystem (Scharia) sich nicht mit den international anerkannten Menschenrechten der Vereinten Nationen vereinbaren läßt. In der die Religionsfreiheit nicht anerkannt und die Frauen weit unter den Männern stehen?

Wie steht es um unsere Moral, um den Respekt anderen gegenüber? Wie wird sich unsere Gesellschaft ändern müssen und welches Niveau können wir in Zukunft halten? Es muß ein ehrliches (!) Bild von der Wirklichkeit wiederhergestellt werden mit verständlicher Sprache und verständlichen Definitionen. Über alle gesellschaftliche Themen und ohne Tabus. Über den Alltag, über Schule, Arbeit, Spracherwerb und Kriminalität.

Viele konservative Bürger sehen die Handlungsfähigkeit des Staates nicht mehr gegeben. Es gibt Zweifel, ob der Staat noch im Stande ist, sein Gewaltmonopol durchzusetzen, Sorgen um die persönliche Sicherheit mehren sich. Offensichtlich ist auch, daß viele Verantwortliche in der Asyl-Politik nach den  Masseneinwanderungen von 2015 schlicht überfordert sind. Es ist eine gewaltige Aufgabe! Aber: Städte und Gemeinden bleiben in vielen Fällen ohne klare politische Ansage bzw. Anleitung. Beispiel: Konkrete Fragen nach dem „Wie?“ des Freiberger Oberbürgermeisters an Landrat, Sächsische Landesregierung und das Kanzleramt sind in der Vergangenheit unbefriedigend oder gar nicht beantwortet worden. Nach den neuerlichen Querelen, dem Gezänk und den Koalitionsstreitigkeiten in der „Chemnitz“-Kausa Maaßen nun der Grund für ihn, die SPD zu verlassen.

Die ungelösten Probleme sind meines Erachtens nicht spezifisch für Ostdeutschland, sie bringen die Menschen in beiden Teilen Deutschlands in Rage. Es geht nicht um Chemnitz, es geht um viel mehr. Es geht um das, was die Bevölkerung umtreibt und darum, daß dies endlich in der Politik ankommt. Sonst zieht die Karawane weiter. In welcher Stadt Deutschlands wird sie morgen sein?

(v.k.)

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