Unbequeme Wahrheiten im Schloss Bellevue

November, 2024

Nach dem Vorwurf an unseren Bundespräsidenten, als Kanzleramtschef und späterer deutscher Außenminister mitverantwortlich zu sein für eine verfehlte Rußlandpolitik, nach seiner öffentlichen Ausladung im April 2022 durch Kiew wegen des Festhaltens am Nord-Stream-Projekt bzw. seiner „Realpolitik“ zum damaligen Putin-Regime und schließlich nach der Absage einer geplanten Diskussionsrunde zum Nahost-Krieg im Mai dieses Jahres wegen eklatanter Vorbereitungsfehler (1) steht nunmehr eine weitere Querele im Schloß Bellevue an, die dem Hausherren im Berliner Ortsteil Tiergarten kaum in den Kram passen dürfte.

Die Kritiken und Vorwürfe des Schriftstellers und Publizisten Marko Martin im Rahmen seiner Rede im Schloß Bellevue zum Thema „35 Jahre Friedliche Revolution“ gegen Frank-Walter Steinmeier wiegen schwer. Es geht um dessen politische Fehleinschätzungen, die bis dato fehlende Aufarbeitung der deutschen Rußlandpolitik, seine offensichtliche Kritikresistenz oder die versuchten Rehabilitierungen von Gerhard Schröder (Steinmeier war von 1993-1994 Büroleiter des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder). Die Rede ist auch von der Unwilligkeit des Bundespräsidenten, eigene Fehler und Fehleinschätzungen jenseits rhetorischer Bußübungen wirklich zu benennen, von dessen pastoraler Nachdenklichkeit, von Empathiemangel, Fassade und pflichtschuldigen Floskeln. Steinmeier, der sich 2022 für eine zweite 5-jährige Amtszeit als Bundespräsident selbst ins Gespräch gebracht hatte, hat über diese Kritik offenbar seine Contenance verloren und spricht nun von Diffamierung.

Nur ein Ausrutscher? Wir sind vor kurzem von einer Reise nach Griechenland, dem Ursprungsland der Demokratie, zurückgekehrt. Wobei uns nicht erst seit dieser Reise bekannt ist, daß jedes auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhende politische System auch von der sachlichen, konstruktiven Kritik lebt. Und mit dieser sollte auch ein deutscher Bundespräsident umgehen können. Ansonsten ist das Schloß Bellevue auch für Herrn Steinmeier, der sich dort offenbar gut eingerichtet hat, nur eine temporäre Bleibe. Details zu diesem Eklat sind im Interview des Schriftstellers Marko Martin bei T-Online (2) und und der  „Frankfurter Allgemeinen“ vom 8.11.2024 nachzulesen:

„Eine kritische Rede des Schriftstellers Marko Martin im Schloss Bellevue und die Reaktion von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darauf sorgen für Wirbel. Martin hatte bei einer Veranstaltung zum 35-jährigen Jubiläum des Mauerfalls am Donnerstagabend unter anderem Steinmeiers Haltung gegenüber Russland und Kreml-Chef Wladimir Putin in seiner Zeit als deutscher Außenminister angeprangert. Darauf reagierte Steinmeier laut Martin beim Empfang nach der Veranstaltung mit einem Wutausbruch.

„Er ist angerauscht gekommen, um mir qua seines Amtes die Leviten zu lesen“, sagte Martin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Steinmeier habe ihn gefragt, ob es ihm Freude mache, Politiker zu diffamieren. Die Sprecherin des Bundespräsidenten erklärte dazu auf Anfrage, Steinmeier habe mit Martin bei dem Empfang „kontrovers, aber sachlich über seine Rede diskutiert“.

Der Schriftsteller sagte der dpa: „Wir haben einen Bundespräsidenten, der sich dieser Debatte verweigert, der Debatte über die deutsche Mitverantwortung für Putins Aggressionen.“

(1): https://www.volkerkliem.de/schloss-bellevue-diskussionsrunde-zum-nahost-krieg-abgesetzt/

(2): https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_100526680/eklat-nach-russland-kritik-steinmeier-ist-wutentbrannt-auf-mich-zugestuermt-.html

(3): https://www.spiegel.de/kultur/frank-walter-steinmeier-soll-auf-rede-von-marko-martin-wutentbrannt-reagiert-haben-a-d8e5dd3b-df51-4f99-a86d-58a0cf00cd74

(v.k.)

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